Samstag, 24. März 2012

Rumpenheim vor 1942 (10)

1942 verlor Rumpenheim seine Selbständigkeit und wurde eingemeindet. Eine in Rumpenheim geborene Zeitzeugin, geboren 1922, erzählt hier in loser Reihenfolge von ihrer Kindheit in diesem schönen eigenständigen Dorf:

Erinnerungen an den „Freien Platz“ (1)

Kerb, das heißt Kirchweihfest der evangelischen Gemeinde. Es war sonntags, montags und mittwochs großer Rummel. Schon am Dienstag vor dem Fest kamen die ersten Wagen der Beschicker. Wir Kinder konnten es kaum erwarten bis die Schule aus war und wir schauen konnten, was alles aufgebaut wurde. Es gab immer ein großes Kinderkarussell, ein Kettenkarussell und manchmal eine Schiffschaukel. Das Kinderkarussell hatte zwei Stockwerke. Unten standen die großen bunten Holzpferde und kleine Kutschen. Auf einer Treppe konnte man nach oben gehen, dort gab es eine Art Wippen und Rondells zum Drehen. Man setze sich hinein und wurde noch zusätzlich gedreht. Nach einer solchen Fahrt war einem schon mal schwindelig. Für mich war das nichts. Sonst gab es noch die üblichen Buden. Ich freute mich immer am meisten auf die grünen, roten und gelben Zuckerstangen. Ich liebte die Grünen mit dem Pfefferminzgeschmack, aber auch Magenbrot und geröstete Mandeln. Und die Schießbuden. Nach langem Zögern versuchte ich mich auch mal im Schießen. Ich zielte und auf einer ganz anderen Seite der Schießbude fiel eine Blume herunter. Ich bekam diese überreicht und freute mich sehr.
Bevor die Kerb begann, gab es daheim erst einmal großen Hausputz.
Wir erwarteten ja eine Menge „Kerbbesucher“. Aus Wattenheim kam Tante Regina (die Schwester meiner Mutti) mit ihrem Mann und ihren Kindern. Weiterhin kamen auch noch Cousinen von Mutti aus Dietesheim mit Kind und Kegel. Sie besuchten auch Oma und Opa und alle Onkel und Tanten. Am Kerbmontag bekamen wir immer schulfrei. Vormittags fand dann das Schubkarrenrennen statt. Ich kann mich nicht entsinnen, dass meine Eltern jemals dort hingingen. Es war zwar sehr lustig, aber auch ich lief bei dem Rennen nicht mit. Viel besser gefiel es mir, am Nachmittag auf den Kerbplatz zu gehen. Wir hörten zu Hause, wenn die Orgel des Karussells anfing zu spielen, dann konnte uns keiner mehr halten.
Von Opa und Oma Schmitt und allen Verwandten bekamen wir Kinder kleine Geldbeträge als „Kerbgeld“. Mit diesem Geld in der Tasche zogen wir dann los und überlegten „lange“ was wir als erstes machen sollten: Karussell fahren oder etwas Süßes kaufen oder doch vielleicht lieber sparen? Das war gar nicht so einfach.
Sonntags und montags kostete eine Fahrt mit dem Karussell 10 Pfennige.
Mittwochs aber nur noch 5 Pfennige. Mittwochs gab es aber dazu noch einen Knüller. Die Fahrgeschäftebetreiber stellten ein Gestell auf, an dem ein Haken kleiner bunter Ringe hing. Wenn man sich beim Fahren nicht setzte und sich lieber an der Stange festhielt, konnte man sich etwas hinauslehnen und versuchen einen der Ringe abzuhängen.
Wenn das gelang, gewann man eine Freifahrt. Wir hatten viel Spaß dabei.

Keinen Spaß hatte ich dann aber an einem Kerbtag in späteren Jahren. Ich war schon 15 oder 16 Jahre alt. Zum Fahren mit dem Kettenkarussell waren aus Bürgel viele Mädchen und Jungen unserer Gruppenstunde gekommen. Wir alberten beim Fliegen herum und stießen uns gegenseitig ab. Einer der Jungs wollte mich anstoßen, zog mich aber dabei von meinem Sitz Ich hielt mich bei voller Fahrt nur noch krampfhaft an den Armlehnen fest. Da hing ich nun in voller Größe und flog durch die Gegend. Von unten schrien die Zuschauer: „Festhalten und Anhalten!“
Endlich wurde die Fahrt gestoppt. Ich hatte noch einmal Glück gehabt. Zitternd stieg ich ab, um gleich wieder in einen Sitz zu steigen, um noch eine Runde zu drehen.
Ich nehme an, ich schämte mich und wollte nicht gleich mit jemandem sprechen. Als ich dann später nach Hause kam, wussten meine Eltern schon, was mir passiert war. Sie schimpften allerdings überhaupt nicht. Ich nehme an, dass sie einfach froh waren, dass ich gesund vor ihnen stand.
 
Zeitzeugin Jahrgang 22

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